Die auf dem Wolf reitet

Die auf dem Wolf reitet Wo sie auftaucht, gibt es Ärger: Die «Rüschellerin» aus dem luzernischen Reiden. Sie wird deshalb im 15. Jahrhundert als Hexe verurteilt. Ein Schicksal, das sie zwischen 1423 und 1737 mit über 200 Frauen in Luzern teilte.

Jagdfieber in Reiden: Metziner Ruedi und Fuchs Heini stellen an einem Nachmit­tag im Jahre 1486 am Bach den Fischen nach. Doch sie sind nicht alleine. Unverse­hens steht ein Mann aus Reitnau vor ihnen, der folgende Worte spricht: «Ich habe eine Frau gesehen, die auf einem Wolf einen Berg hinaufgeritten ist.» Von der Neu­gierde gepackt, erkundigen sich Metziner und Fuchs nach der Frau und erhalten weitere Auskunft: «Sie hat grüne Unterärmel mit kleinen Haken dran und ist von Reiden.»

Eingesperrt und gefoltert.

. Die sonderbare Frau ist die «Rüschellerin», wie sie in der Gegend genannt wird. Auch andere haben Geschichten über dieses Weibsbild zu erzählen. So etwa bezeugt Fuchs Heini später: Die Frau mit den grünen Unterär­meln habe seinen Garten aufgesucht, worauf alle seine Zwiebeln verfault wären. Ebenfalls gibt der Zeuge Reider von Langnau an, nach einem Streit mit dieser Frau hätten seine Kühe Blut anstatt Milch gegeben. Sein Verhältnis zur «Rüschellerin» war offenbar derart angespannt, dass er ihretwegen von Reiden nach Langnau um­gezogen war. Des Weiteren soll sie ein schlimmes Hagelgewitter ausgelöst haben sowie für den Tod einer Kuh und eines Pferdes verantwortlich sein.Die Zeugen sind sich einig: Die «Rüschellerin» ver­zaubert, was immer ihr beliebt – sie muss also eine Hexe sein. Prompt wird sie von der Luzerner Obrig­keit eingesperrt und gefoltert. Der Scheiterhaufen droht.

«Besonders anfällig»: die Frauen.

Wie der Fall der «Rü­schellerin» zeigt, reichten blosse Zeugenaussagen (sogenannte Kundschaften), um eine Person anzukla­gen. Die Anschuldigungen mussten nicht einmal be­sonders plausibel sein. Meist wurde den Angeklagten die immergleiche Melange aus Zauberei, Verleum­dung, Beleidigung, Teufelspakt, Hexenritt sowie Wet­ter- und Schadenszauber gegenüber Tieren und Per­sonen unterstellt. Es waren grösstenteils Frauen, die aufgrund ihrer weiblichen Natur angeblich als «be­sonders anfällig» für Machenschaften mit dem Teufel galten. In Luzern allein wurden zwischen 1423 und 1737 über 200 Frauen wegen vermeintlicher hexeri­scher Tätigkeiten hingerichtet. Besonders betroffen davon waren aber nicht etwa die ärmsten Frauen, wie man vermuten könnte. Historische Untersuchungen zeigen nämlich, dass es sich häufig um finanziell ge­sicherte Frauen handelte. Aber um Zugezogene, die Mühe hatten, sich in ihrer neuen Umgebung zu integ­rieren.

Ausgeschlossen und vernichtet.

Daneben wurde den Angeklagten immer wieder vorgeworfen, sie seien frech und streitsüchtig. Ein Verhalten, das der damals herrschenden Moral und der Vorstellung von weibli­cher Ehre eindeutig widersprach. Deshalb wurden die nonkonformen Handlungen von Frauen bestraft, selbst wenn diese mit Zauberei nichts zu tun hatten. Für Frauen, deren Ruf nicht der beste war, konnte di­es entscheidende, ja tödliche Konsequenzen haben. Im Gegensatz dazu konnte der städtische Rat das ab­weichende Verhalten des weiblichen Geschlechts kontrollieren. Diese Machtdemonstration der Obrig­keit ist im Kontext des sich herausbildenden Staats­wesens zu sehen. Denn das Urteilen über Hexe bezie­hungsweise Nicht-Hexe eröffnete dem Rat einen im­mensen Ermessensspielraum. Über Gewalt und Gnade konnte bereits aufgrund wenig zuverlässiger Zeugenaussagen entschieden werden, was die eigene Machtposition erheblich steigerte. Und deshalb konnte der Luzerner Rat die Hexenprozesse als Kon­troll- und Disziplinierungsinstrument gegen nicht angepasste und als fremd empfundene Frauen einset­zen. Ausgeschlossen oder gar vernichtet wurde, wer sich nicht ehrenhaft verhielt.

Die Verbannung.

Für eine Frau, die als Hexe angeklagt wurde, lautete der Schuldspruch meist «Tod durch Verbrennen». Eine Hinrichtungsart, die auch der «Rüschellerin» drohte. Doch die Frau aus Reiden blieb hart und weigerte sich trotz Folter, die ihr ange­lasteten Taten zuzugeben. Entsprechend blieb ihr trotz vielseitiger Anschuldigung das Schicksal so vieler anderer «Hexen» erspart: Die «Rüschellerin», deren wirklicher Name längst vergessen gegangen ist, wurde nicht verbrannt, sie wurde zur Strafe aus Luzern verbannt – für alle Zeiten.

Text: Janine Kopp; Illustration: Peter Scheidegger

Die Rüschellerin 1486