Die neun Ungeheuer im Stall
nach Peter Keckeis
Zu einem grossen Bauernhofe im Wiggertal kam einst ein alter Bettler und bat um ein Nachtlager. Der Hofbauer hatte eben das Haus voll Leute und wusste für einmal keinen Schlupfwinkel. Doch er wollte den armen Mann nicht abweisen und sagte: „Im Hause ist kein Platz mehr, so weiss ich euch keine andere Herberge mehr als in der Scheune oder wenn es sein muss im Stalle.“ „Die Nächte sind kalt. Bitte lasst mich in den warmen Stall!“ flehte der Mann, dem gleich der Bauer sagte: „Bevor ich das zugebe, muss ich euch im Vertrauen sagen: Erst gestern übernachtete hier ein fremder Wandergeselle, und der sagte beim Fortgehen: ‚Behüt euch Gott und mich vor diesem Stalle! Darin möchte ich keine Nacht mehr zubringen, und kein Auge habe ich zugetan’, und ähnlich berichteten schon zwei dort Beherbergte vor ihm.“ “ Wenn’s nur das ist“, fiel der Bettler ein, „so lasst mich da übernachten, ich fürchte mich nicht.“ „Wenn ihr es durchaus wollt, so sei es gestattet.“ war die Antwort.
Nach dem Nachtessen begab sich der Bettelmann zum Stalle, richtete das Stroh zu einem Nachtlager und legte sich neben den Ochsen und Kühen zum Schlafen. Zuvor sprach er ein Gebet, bekreuzigte sich und legte noch unter den Bund Stroh beim Kopfe ein kleines Kruzifix. Um Mitternacht weckte ihn ein Geräusch. Er sah ein paar grosse Augen über sich und hörte dann in wildem zornigem Ton die Worte: „Dem kann ich nichts antun. Er liegt beim Heiligen Kreuz Christi!“ Kaum war dieses Ungeheuer fort, so nahte sich ein anderes und drohte mit fürchterlicher Wut über ihn herzufallen. Aber darauf vernahm der Bettler wieder die Worte: „Dem kann ich nichts antun, er lieht unter dem heiligen Leben Christi.“ Und da nahte zum dritten, vierten ja bis zum neunten Male ein ähnliches Ungeheuer, und das letzte sprach im höchsten Grimme: „An den kann ich nicht heran, er steht unter dem Schutze der hochheiligen Dreifaltigkeit.“ Nun wurde es still. Der Bettler sprach wieder sein Gebet und schlief dann tief und ungestört bis zum Morgen.
Der Bauer verwunderte sich nicht wenig, als er den Bettler so heiter erblickte. Dieser musste dem Bauern den merkwürdigen Hergang der Nacht erzählen. Der Bettler tat dies und vertraute ihm auch das Gebet an, welches ihn behütet hatte. Der Hausvater schrieb diesen Segen auf, lehrte ihn auch seine Hausgenossen und alle beteten ihn beim täglichen Abendgebet. Von nun an war der Spuk im Stalle verschwunden, und der Bettelmann wurde auf diesem Hofe in hohen Ehren gehalten.