Glockeneinzug in Reiden 7. Juli 1938

Ankunft der Glocken in Reiden 7. Juli 1938Ankunft der Glocken in Reiden 7. Juli 1938. Auf dem Bild Pfarrer Alfons Ernst. Im Vordergrund die Zwillingsschwestern Rosmarie und Liselotte Margstahler.

Am Donnerstag wurden in der Glockengiesserei Rütschi in Aarau die vier Glocken für die protestantische Kirche in Reiden Abgeholt. Um 4 Uhr morgens fuhren vier Wagen, mit 16 Pferden Bespannt, über Walterswil-Rotacker gegen Aarau zu, um die eherne Fracht von über 100 Zentner in Empfang zu nehmen. Mittlerweile ist ein wunderschöner Tag angebrochen, und die Sonne beschien auf dem ganzen Heimweg mit ihren goldenen Strahlen das edle Metall, als ob sie sich ebenfalls freue, dass die Menschheit noch etwas zu Ehren des Schöpfers übrig hat. Von den Kirchen der durchfahrenen Dörfer und Städte erklang feierliches Glockengeläut zu Ehren ihrer neuen Mitschwestern, und an den Strassen standen Leute jeden Alters in Grossen Scharen, als ob es Feiertag wäre. An der Kantosgrenze in Adelboden schlossen sich die Schulkinder dem Zuge an, und beim Restaurant Widmer wurden die inzwischen welk gewordenen Blumen vom Töchternverein durch frische ersetzt, und bald gruppierte sich der imposante Zug, an der Spitze eine Reitereskorte von 4 Kavalleristen, Jungschar, Blumenmädchen und Buben in bunter Folge. Um 6 Uhr hielten die Glocken, von den Klängen der Musikgesellschaft angeführt und von den Glocken der katholischen Kirche Feierlich begrüsst, in Reiden Einzug. Bevor das neue Geläut an seinen zukünftigen Bestimmungsort, bei der Kirche, übergeführt wurde, defilierte der ganze festliche Zug durchs Dorf zum Kontermarsch beim Bahnhof. Bei der Kirche sprach in gutgewählten Worten Herr Pfarrer Ernst zu der inzwischen auf mehrere Hundert Personen angewachsenen Versammlung. Hr. Gemeinderat Schmid sprach namens des Gemeinderates beachtenswerte Borte. Mit dem Gemeindesgesang „Grosser Gott, Wir loben Dich“ fand die Feierliche Aufstellung der Glocken ihren Abschluss.

Samstag den 9. Juli 1938 Luzerner Nachrichten

Dem Einklang hier in Erz gegossen,
Dem wohlgeformten jungen Guss;
In Blumen und in Rosenschossen Jugendfroh
ein lieber Heimatgruss!

Dem Alter liegt Bedächtigkeit zugrunde,
Wohlan, es sei, wir halten mit.
Willkommen hier in unserm Runde
Als Weggenosse. Wir halten Schritt.

Dieser vielsagende Spruch, auf einem grossen Plakat geschrieben, zierte beim Einzug in Reiden die vorderste Glocke.

Glockenaufzug Samstag 9. Juli 1938

Am Samstagnachmittag versammelten sich die Schüler von Langnau, Wikon und Reiden – rund 700 Kinder - bei der neuen Kirche. Doch nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen strömten von allen Seiten herbei und füllten den Vorplatz und die Zufahrtstrasse, um dem seltenen Ereignis eines Glockenaufzuges beiwohnen zu können. Um 3 Uhr bestieg Herr Pfarrer Ernst einen der Glockenwagen um zu der grossen Kinderschar zu sprechen. In eindrucksvollen Worten schilderte er ihnen den weiten Weg vom Erz bis zur fertigen Glocke und die Bedeutung ihrer Inschriften. Noch all den edlen Spendern dankend für die so reichlich gespendeten Gaben, ohne die die Anschaffung der Glocken noch lange Zeit unmöglich gewesen wäre, schloss er die Ansprache. Als erste wurde die kleinste, die as-Glocke, im Gewicht von 600 Kilo von den Erstklässlern aufgezogen. Kaum konnten die kleinen Hände das armsdicke Seil umspannen, aber leuchtenden Blickes wurde angepackt, und langsam hoch sich die eherne Last in die Höhe. Die f-Glocke mit 1000 Kilo und die es-Glocke mit 1450 Kilo waren ebenfalls bald unsern Blicken entschwunden, und jetzt wurden die Schüler der Sekundar- und ältern Primarklassen an das Seil gerufen, und Herr Dir. Bär von der Glockengiesserei Aarau und der Herr Pfarrer bezogen wieder ihren Kommandoposten auf einem Wagen. Es erfolgte das Zeichen zum Anziehen, und langsam straffte sich das schwere Tau, und die c-Glocke mit ihren 2400 Kilo hob sich am sechsfachen Flaschenzug langsam in die Höhe. Wurst und Brot entschädigten die Kinder für ihre Arbeit, die sie nicht so bald vergessen werden. Aber noch etwas anderes mögen die Kinder mit ins Leben hinaus nehmen. Wie sie ohne Unterschied von Glauben und Stand nebeneinander am Seil gezogen haben, um die schwere Last zu heben, so mögen sie auch im täglichen Leben füreinander einstehen, alle mit dem gleichen Ziel vor Augen: Aufwärts. Die Glocken werden einen elektrischen Antrieb erhalten und man hofft die Arbeit so fördern zu können, dass sie am Ehrentag der Eidgenossenschaft, am 1. August, im Chore ihrer Mitschwestern unseres Tales ihre Stimmen erheben können, zum Dank an unsere Bundesverfassung, die uns die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet. Mögen alle die guten Wünsche in Erfüllung gehe und die neuen Glocken immerdar einem freien Volke erklingen.