Die „Kneipp“ in Richenthal: Einst eine weit herum berühmte kneippsche Kur- Wasserheilanstalt.
Hans Marti
Die Zeit liegt gar nicht weit zurück, als unter dem Namen „Kneipp“ die ehemalige Kur- und Wasserheilanstalt in Richenthal weit über die Landesgrenzen bekannt war. Und heute? Wer spricht noch davon? Wer weiss, was die „Kneipp“ einst bedeutete? Und wer hätte damals gedacht, dass ihr keine Dauer beschieden sei? An ihr zu zweifeln, besonders während der Hochblüte der Kuranstalt, wäre beinahe vermessen gewesen. Vor allem auch, wenn man an die fast monumentalen Gebäulichkeiten denkt, die noch heute stolz von der einstigen Grosse zeugen und nun unter dem Namen «Park-Hotel» weiterleben.
Wie kam es zur Gründung dieser Institution? Man diese ebenso zufällig wie seltsam nennen. Als am 28. April 1869 Vinzenz Blum als jüngstes von sechs Kindern zur Welt kam (sein Geburtshaus steht heute noch etwas erhöht südlich der Kurkapelle), ahnte kein Mensch, dass er dereinst «Kurdirektor» in Richenthal und gleichzeitig hierzulande ein berühmter Pionier der Kneippschen Heilmethode würde. Seine Jugend war von Krankheiten überschattet: «Vinzenz kam als körperlich schwacher Knabe zur Welt und hatte durch Jahre hindurch fast keinen gesunden Tag. Während der ersten drei Lebensjahre wurde er von einem fürchterlichen Gesichtsausschlag gepeinigt, der besonders die Augen in Mitleidenschaft zog, sie blutrot färbte und allen Ernstes eine Erblindung befürchten liess. Später suchten den armen Knaben sozusagen suchten den armen Knaben sozusagen suchten den armen Knaben sozusagen alle Kinderkrankheiten heim. Des Öftern glaubte man, sein letztes Stündlein sei gekommen. Diese Art von Prüfung dauerte bis zum 21. Lebensjahr.»
Nach der Sekundarschule in Altishofen wollte Vinzenz Blum Priester werden. Doch bald wurde der junge Student wieder von Krankheiten heimgesucht, das Studium musste verschiedentlich unterbrochen werden. Privatstunden sollten die Zeit überbrücken, um die Matura doch noch bestehen zu können. 1895 erkrankte ein Vetter von Vinzenz Blum schwer, und Vinzenz half bei seiner Pflege. Unter Anleitung einer Tante wurde am Patienten die Kneippsche Heumethode angewandt, die von Heilerfolg gekrönt wurde. Dr. Waltisberg von Dagmersellen unterrichtete den Krankenpfleger Blum im Untersuchen. Waltisberg «rühmte die grosse Sicherheit der Diagnose». Während dem Vinzenz seinen Vetter pflegte, wurde er erneut von seinen alten Beschwerden geplagt. Deshalb wollte er nun selber nach Wörishofen zu Pfarrer Kneipp gehen und sich dort behandeln lassen.
Nach vorgängigem Briefwechsel kam die Antwort, vorläufig nicht zu kommen. Im Brief riet ihm der Kräuterpfarrer, mittels einer Vollnahrung zu den nötigen Kräften zu gelangen (Hafersuppe, Ruchbrot, überhaupt die Kost stark auf Getreidearten auszurichten). Ausserdem wurde Blum angeraten, sich durch Güsse, Taugras- laufen usw. abzuhärten. Er tat dies ebenso gelehrig wie gewissenhaft – mit beachtlichem Erfolg. Hierauf ging Blum persönlich nach Wörishofen, um dort zu küren. Bald einmal half er auch aktiv im Kurbetrieb mit und finanzierte sich so seinen Aufenthalt.
Von Wörishofen zurückgekehrt, waren alle Leute überrascht, wie der vorher «Ewigkranke» geheilt war und blühend aussah, was sich sehr schnell herumsprach. Schon bald kamen Leute aus der Umgebung und fragten Blum um Rat. Dieser machte Güsse, Wickel mit Heublumen und weitere Kneippsche Anwendungen. In der ersten Zeit geschah dies noch im elterlichen Hause. Mit zunehmendem Erfolg beschloss Blum, sich fortan als Naturarzt zu betätigen. Deshalb baute er sich 1899 ein Haus, anfänglich Badehaus, später «Direktionshäuslein» genannt. Bruder Josef Blum baute seine bestehende Wagnerei in eine Wirtschaft um und bot für 22 Betten Logis, während es im «Direktionshäuslein» Platz für 13 gab. Johann, ein anderer Bruder, weitete dann 1902 die Anlage zu einem Hotel für 120 Personen aus. Aber bereits 1903 machte er Konkurs und musste die Anlage verkaufen. Sie ging an ein Konsortium über, doch die «Kneipp» als solche, samt «Bademeister» (so nannte er sich damals noch) Vinzenz Blum blieb bestehen. Sein Können und seine gewaltige Arbeitskraft liessen das Unternehmen prächtig aufblühen.
Zwischen dem Leben von Vinzenz Blum und dem von Sebastian Kneipp gibt es zahlreiche Parallelen. Geboren 1821 in Stephansried bei Ottobeuren in Bayrisch-Schwaben, musste Sebastian Kneipp schon als Knabe zuhause am Webstuhl mitarbeiten. Später arbeitete er als Knecht, Maurer und Taglöhner. Doch er wollte Geistlicher werden. Als an seinem 21. Geburtstag 1842 sein Geburtshaus mit all seinen Ersparnissen niederbrannte wandte sich sein Leben, und er begann das Studium. Doch schon bald darauf wurde er oft krank: Die körperliche Arbeit, die frische Luft fehlten ihm. Schliesslich stiess er auf das Büchlein «Von der Kraft und Wirkung des frischen Wassers auf die Leiber der kranken Menschen». Kneipp begann darauf mit ersten kalten Bade Donau – und siehe da, der Erfolg blieb nicht aus. Nach und nach begann er auch mit Wasseranwendungen an Mitmenschen. Im Laufe der Jahrzehnte entstand der Kurort Wörishofen.
Zurück zur „Kneipp“ in Richenthal. Während seines Wirkens wurde Vinzenz Blum oft von den Schulmedizinern bedrängt und beschimpft. Des halb zog er später einen ausgebildeten Arzt zur «kompetenten» Mithilfe bei. Blums Nachfolger wurde Dr. Emil Häfliger (1900-1975), der ab 1928 mit Blum zusammenarbeitete. Mit ihm änderte sich in der «Kneipp» Grundlegendes: Die langen, kostspieligen Kuraufenthalte wurden verkürzt, die Wasseranwendungen nach und nach zurückgedrängt, die ärztlichen Untersuche verlagerten sich zusehends auf die Augendiagnose und die Verabreichung von Naturheilmitteln. Insgesamt nahm damit der eigentliche frühere Kurbetrieb ab, bis er nach rund 50 Jahren beinahe von selber erlosch – und mit ihm ein Stück Orts- und Regionalgeschichte.